Auszug aus: George Eliot’s Life as related in her Letters and Journals, Band 2
* * * * *
Am nächsten Morgen fuhren wir in aller Frühe mit dem Zug nach Dresden. Eine herrliche Fahrt, denn sie führte uns durch die Sächsische Schweiz mit ihren malerischen Felsen und Fichten. Um vier Uhr speisten wir gemütlich im Hotel de Pologne und am nächsten Morgen (Sonntag) fanden wir eine Unterkunft – ein ganzes Appartement mit sechs Zimmern, nur für uns allein, für 18 Shillingpro Woche! Gegen neun Uhr hatten wir uns in unserem neuen Zuhause eingerichtet, in dem wir sechs Wochen Arbeitsruhe genießen wollten, ungestört von Besuchen und Besuchern. Und das taten wir. Wir waren glücklich wie Prinzen – George[1] schrieb in der entlegenen Ecke des großen Salons und ich an meinem Schrank[2] in meinem eigenen Zimmer bei geschlossener Tür. Hier habe ich die letzte Hälfte des zweiten Bandes von Adam Bede geschrieben – wir hatten morgens immer viel Zeit, weil wir um sechs Uhr aufstanden.
An drei Morgen in der Woche gingen wir von zwölf bis eins in die Gemäldegalerie. Unseren ersten Besuch machten wir an einem Sonntag; dann herrscht immer großes Gedränge vor der Sixtinischen Madonna. Ich setzte mich für einen Moment auf das Sofa, das dem Bild gegenüber steht; aber plötzlich überkam mich eine solche Ehrfurcht, als befände ich mich in der Gegenwart eines glorreichen Wesens, dass ich nicht bleiben konnte. Wir eilten aus dem Raum.
An den folgenden Morgen haben wir immer am Ende unseres Besuchs dieses überragende Bild besichtigt. Unser Interesse an den anderen Werken – bis auf Christo della Moneta und Holbeins Madonna – nutzte sich schnell ab, aber hier war esgenau umgekehrt, der Abschied fiel uns jedes Mal schwerer. Holbeins Madonna ist erlesen – eine göttlich sanftmütige, goldhaarige Frau mit gesenktem Blick, in einer unbewusst anmutigen Haltung – die herrlichste aller Madonnen in der Dresdner Galerie, abgesehen von der Sixtinischen. Neben ihr hängt ein wunderbares Porträt von Holbein, das mir besonders gefällt. Es zeigt nur einen einfachen, schwergewichtigen Geschäftsmann, einen Goldschmied, aber das Gemälde fängt all den Verstand ein, den ein solcher Mensch besitzt, wenn er einen guten Charakter hat.
Auch Tizians Zinsgroschen besichtigten wir fast jeden Tag und danach die nachrangigen Werke des großen Künstlers.
(...)
Die vier großen Correggios hängen nebeneinander. Die Nacht, Die Madonna des heiligen Sebastian – anmutig und lächelnd, mit dem kleinen Cherub, der auf einer Wolke reitet – Madonna mit dem Heiligen Hubertus[3] – und eine dritte Madonna, sehr ernst und liebenswert, gemalt, als er neunzehn war, sind mir lebhaft in Erinnerung geblieben.
(…)
Der gute alte Rubens zeigt sich hier nicht von seiner besten Seite, außer in Dianas Heimkehr von der Jagd, Der Liebesgarten und Das Urteil des Paris.
(...)
Es war ein herrliches Leben – unsere sechs Wochen in Dresden! Die Freiluftkonzerte im Großen Garten und auf den Brühlschen Terrassen, das Sommertheater, wo wir unseren Lieblingskömödianten Merbitz[4] sahen, die Spaziergänge durch die weite Landschaft unter dem endlosen Himmel,dieZouaven, die in ihrer seltsamen Aufmachung aussehen wie Frauen, Kader, der Komödiant im Sinkschen Badtheater, unsere ruhigen Nachmittage in unserem Salon – all das war eine angenehme Abwechslung zur Arbeit.
(...)
Von Dresden aus brachen wir an einem regnerischen Tag Ende August nach Leipzig auf – die erste Etappe unserer Heimreise.
* * * * *
[2] „Schrank“ steht im Originaltext auf Deutsch (Anm. d. Übers.).
[3]Wohl eine Verwechslung, gemeint ist wahrscheinlich Die Madonna des heiligen Georg (Anm. d. Übers.).
[4]Viktor Merbitz (1824–1884), Schauspieler (Anm. d. Übers.).
Deutsche Übersetzung: Nadine Erler
* * * * *
George Eliot Von Unbekannt. Upload, stitch and restoration by Jebulon - Bibliothèque nationale de France, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=77...