____
"Dresden, eine Kreuzthurminspiration" vom Autor S. F. R. ist ein Teilkapitel des Werks "Das neue Leipzig nebst einer Kreuzthurminspiration über Dresden" von Ferdinand Stolle aus dem Jahr 1834. Dieses Werk wiederum war ein Teilband des Mehrteilers "Sachsens Hauptstädte: Ein humoristisch-politisches Doppelpanorama", herausgegeben von F. Stolle. Natürlich sind die Beschreibungen über Leipzig und Dresden zum Teil als humoristische Verzerrung zu werden, doch geben sie sowohl Zeugnis von der zeitgenössischen Wahrnehmung als auch vom damaligen Humor wieder und sind Stadtbeschreibungen der besonderen Art. Bei der Kreuzthurminspriation begibt sich der Autor nach Dresden und beschreibt sowohl das Stadtbild als auch die Einwohner auf ganz eigene und erheiternde Art.
____
"Obgleich Dredsen nicht reich ist an Thürmen und Palastähnlichen Gebäuden, so gewährt es doch schon von der Ferne einen lieblichen und imposanten Anblick. Fast möchte ich glauben, daß es dem ganzen Gemälde Eintrag thun würde, wenn die Stadt selbst durch große Häusermassen und Kuppeln hervorträte, während sie so in die liebliche Landschaft des herrlichen Elbthales verschwimmt. Ist man durch Sandwüsten und öde Ebenen gewandelt, dann ist es angenehm, wenn uns eine große Stadt mit prächtigen Kirchen und zahllosen Thürmen entgegenwinkt und der rkäftige steinerne Wille des Menschen spricht uns daraus wohlthuend an, in der traurigen Umgegbung. Aber wo die Natur selbst groß und erhaben ist, da soll der Mensch nicht sein hinfälliges Machwerk wetteifernd hineinstellen, und auf die Alpen gehören nur niedere Sennhütten. - Dennoch darf man sich von Dresden keine gar zu schlechte Idee machen, denn schon die schöne Brücke, die sich kühn über den breiten Strom wölbt und die in Deutschland keine ihres Gleichen hat, ist eine ausgezeichnete Zierde desselben.
Die schönsten Ansichten der Stadt hat man von der Räcknitzer und Kesselsdorfer Höhe, noch reizender indessen sind die von der Brühlschen Terasse und dem künstlichen Berg im Palais-Garten, weil man sich nahe bei´m Strome befindet, und unmittelbar von den geschmackvollen Anlagen umgrenzt ist. Die reichsten Fernsichten wären vielleicht stromaufwärts vom Finblaterschen Weinberg, stromabwärts vom sogenannten Sptizhäuschen in den Bergen der Lößnitz. Um den Reiz der Gegend hinlänglich zu würdigen, muß man Dresden im Herbst besuchen, und seine Wanderungen nach den Loschwitzer Weinbergen richten. Dann ist dieser Strich Landes eine wahre Fundgrube der Poesie.
Früuuml;h liegt gewähnlich ein dampfender weißer Nebel über der Elbe, bis die Sonne hineinjagt, die allmählig durch die reinere Luft mit ihrer herbstlichen Färbung erglänzen. In den Bergen selbst breitet sich die rege Weinlese vor und Abends erglänzen hunderte von kleinen Feuerchen; bisweilen steigen auch einzelne Raketen in den nächtlichen Himmel und der dumpfe Knall der Böller verliert sich murrend in den Gründen. - Doch wir haben vor allen Dingen von der Stadt, den Gassen und Häusern zu sprechen, daher berichten wir in aller Eile, daß Letztere, mit Ausnahme der in den Vorstädten, meist von Stein sind und man selten, wie in Leipzig hölzerne Wendeltreppen mit Lebensgefahr zu erklimmen hat.
[...] Um nun aber die Individualität der Dresdner als Masse und Einwohnerschaft in scharfen Umrissen aufzugreifen, womit sollen wir beginnen, da man achtzig Jahre unter ihnen gewesen sein kann, ohne einen entschiedenen antionalen Zug entdeckt zu haben? Wo liegt ihr eigenthümlicher Charakter, wenn es nciht eben jene Charakterlosigkeit ist? Saphir sagt irgendwo, man erkenne den Charakter eines Volkes aus vielen Dingen, ja zuweilen aus Undingen und fährt dann fort: "Ich möchte z. B. sagen, man erkennt ein Volk aus seinen Lieblingsgerichten; es versteht sich von selbst, daß unter Lieblingsgerichten nicht Kreis- und Stadtgericht und nicht Geschwornengericht, auch nicht das jüngste Gericht zu verstehen ist. Ist unser deutsch-patriotisches Sauerkraut z. B. nicht die Symbolik unserer ewig säuerlichen, halbausgegohrenen stimmung, die mit der langen Bratwurst unsers Raisonnements endlich und gottlob immer in der allgemeinen Familiengruft unseres Magens ihr "hic jacet" findet? Kann man einen Pudding essen, ohne zu denken, es sei die Mehlspeisographie eines Landes, den die ewigkochende Natur einschlug in die blasse Serviette seines Ich´s, und hineinhing in die Jauche des Lebens, und der nun einherwandelt als eine Buchdrucker-Spatie zwischen den Worten: to be or not to be.
Kann man Maccaroni mit Parmesankäse essen, ohne an die zähe, weiche, leere Dehnbarkeit der Italiener, an die päpstlichen Truppen und an Goldoni´s Lustspiele zu denken?" etc. Das Alles klingt recht gut, allein wenn ich auch die ganze Erfahrung meines essenden Lebens zusammen nehme, finde ich noch kein bezeichnendes Hauptgericht, das den Dresdnern eigenthümlich ist; bei Leipzig würde ich darum keinen Augenblick verlegen sein. Doch noch giebt es zweierlei Dinge, in denen sich das Nationale ausspricht, nämlich Sprichwörter und Volksfeste: freilich für uns höchst armselige Quellen. Denn aus den Sprichwörtern der Dresdner geht Nichts hervor als ihre ängstliche Behutsamkeit im Handeln, vorsichtige Philisterhaftigkeit und Beibehaltung des Alten. "Eile mit Weile! - Vorgethan und nachgedacht hat Manchen groß Leid gebracht. - Zeit bricht Rosen etc." lauten die Bürgen ihres kraftlosen Vegetirens. Den Namen eines Volksfestes verdient aber höchstens das Vogelschießen. Wer nun darüber hinwandelt, wird sich vergebens den Kopf zerbrechen, welcher Geist hier vorwalte, denn während vorn in den Zelten geschlossene Gesellschaften - wie der Harmonie, Conversation - die Damen, wie ein bewegliches Wachskabinet, hervorstarren, schaukelt sich Janhagel im sogenannten wilden Viertel, ißt Bratwürste, die man jenseit der Elbe auf dem Linkeschen Bade riecht, und prügelt sich zur Kurzweil zwischen den Holzstößen. Der Mittelschlag aber sitzt in öffentlichen Zelten und trinkt Bier, dessen Theuerkeit nur durch seine Schlechtheit übertroffen wird. Dabei springen die Kunstreiter, hebt der starke Mann, zeigt sich die Riesin oder dergleichen, inder langweilligsten Gleichmäßigkeit ein Jahr wie das andere. Nichts artet aus oder ist originell als die Gassenbrut und die Besoffenen. Als wäre auch von dieser Seite dem Dresdner nicht beizukommen, und wir müßten etwa zusehen, wie er sich bei Revolutionen benimmt, und da ist er in der That so übel nicht. Es scheint doch, als wenn hinter dieser Trägheit eine ausgeruhte Kraft verborgen lieg3e, die freilich nur ein gewaltiger Sturm aus dem trägen Schlummer rütteln kann. - Nach orginellen Zügen im volksthümlichen Sinne haben wir vergebens gehascht, doch ist die Herzlichkeit der Dresdner ein Gut, das manchen Mangel aufwiegt."
____
aus: S. F. R., Dresden, eine Kreuzthurminspiration, in: Ferdinand Stolle (Hrsg.), Das neue Leipzig nebst einer Kreuzthurminspiration über Dresden, Leipzig 1834, S. 315-395, hier: S. 320-326.