Das Denkmal für den genialen russischen Schriftstellers Fjodor Dostojewskij (1821-1881), das seit 2006 am Elbufer steht, war längst überfällig, denn an keinem Ort außerhalb Russlands hat er so lange gelebt wie in Dresden, im Ganzen fast zweieinhalb Jahre.
Schon seine allerersten Auslandsreisen 1862 und 1863 hatten den Schriftsteller auch nach Dresden geführt, vor allem, um die berühmte Gemäldegalerie zu besuchen. Von diesen ersten Aufenthalten zeugt allerdings in seinem Reiseessay „Winterliche Aufzeichnungen über sommerliche Eindrücke" nur seine Äußerung über den „widerwärtigen Typ der Dresdner Frauen", die er aber sogleich selbstironisch als „übelste Verleumdung" bezeichnet, an der nur seine kranke Leber schuld sei.
Kurz nach der Hochzeit mit seiner zweiten Frau Anna Grigorjewna war dann die sächsische Residenzstadt vom 1. Mai bis Anfang Juli 1867 die erste längere Station ihrer Reise in den Westen, die - als notwendige Flucht des Hochverschuldeten vor den drängenden Gläubigern - mehr als vier lange, kummervolle Jahre dauerte. Die beiden Frühsommermonate in Dresden jedoch waren noch eine unbeschwerte, glückliche Zeit für den 46 Jahre alten Schriftsteller und seine 25 Jahre jüngere Frau. Annas ausführliches Tagebuch, in dem sie all die farbigen Eindrücke des fremden Landes wie auch die Freuden und Leiden ihrer ersten Ehemonate in für ihren Mann unlesbarer Stenoschrift festgehalten hat, ist nicht nur eine kostbare Quelle für die Biographie Dostojewskijs, sondern es bietet auch ein kulturhistorisch hochinteressantes Bild des damaligen Dresden.
Auf 145 Druckseiten (A. G. Dostojewskaja. Tagebücher. Die Reise in den Westen. Königstein/Ts.1985) ist ihr Aufenthalt mit allen Einzelheiten Tag für Tag beschrieben. Und neben das Bild des düsteren, krankhaft reizbaren, allein vom Schreiben besessenen Schriftstellers tritt das des fröhlich scherzenden Ehemannes, der sich für die Garderobe seiner jungen Frau interessiert, mit ihr einkaufen geht, in den Läden die Preise herunterhandelt, genüsslich in Konditoreien Eis und Kuchen vertilgt, viel Bier trinkt und als ehemaliger Soldat am Schießstand im Großen Garten als guter Schütze glänzt.
Die Eheleute mieten in der Johannisstraße „zwei große, ordentlich möblierte Zimmer und einen Schlafraum, für 17 Taler mit Wäsche, Geschirr und allem Notwendigen". Sie sitzen gern im Cafe „Belvedere" auf den Brühlschen Terrassen, speisen im Restaurant Helbig direkt an der Elbe oder im „Waldschlösschen" „mit dem wunderbaren Blick auf die Berge". Sie spazieren auf den Spuren des hoch verehrten Friedrich Schiller, trinken Kaffee in der „Schillerlinde", hören im Großen Garten die Konzerte der Regimentskapelle, machen Dampferfahrten auf der Elbe und Ausflüge nach Loschwitz, Blasewitz und in den Zoologischen Garten oder holen sich russische Bücher aus der Pachmannschen Leihbibliothek in der Wilsdruffer Straße. Und fast täglich besuchen sie die Gemäldegalerie und dort immer wieder Dostojewskijs Lieblingsbilder Claude Lorrains „Acis und Galathea" und Raffaels „Sixtinische Madonna", wobei er Ärger mit einem Wärter bekommt, da der Kurzsichtige auf einen Stuhl steigt, um sie besser betrachten zu können. Beide Bilder haben in seinem Werk tiefe Spuren hinterlassen.
Trotzdem leidet Dostojewskij schon 1867 in Dresden unter der unfreiwilligen Trennung von der russischen Heimat, schimpft ständig über die Dummheit und Stupidität der Deutschen und schreibt an seinen Freund Majkow, „dass es nun einerlei ist, wo ich bin, ob in Dresden oder anderswo, überall ist fremdes Land".
Nach leidvollen Wanderjahren in der Schweiz, wo ihr erstes Kind mit drei Monaten gestorben war, und Italien - unterbrochen immer wieder durch Reisen des krankhaft Spielsüchtigen in die Roulettehochburgen, mit denen er ihrer finanziellen Notlage ein Ende zu machen hoffte - kamen die Dostojewskijs im Sommer 1869 wieder nach Dresden.
Sie lebten hier noch einmal zwei Jahre, häufig in bitterer Not und geplagt von quälendem Heimweh, ehe sie im Sommer 1871 endlich nach Russland zurückkehren konnten. In der Victoriastraße Nr. 5 wurde am 26. September 1869 ihre Tochter Ljubow geboren.
In den fast 60 Briefen, die Dostojewskij aus Dresden schrieb, spielt ihr Leben in der Stadt jedoch kaum eine Rolle. Mit seinen Gedanken war der hart arbeitende Schriftsteller - hier entstanden die Romane „Der ewige Gatte" und „Die Dämonen" - allein in Russland, von dessen missionarischer Sendung für die Welt er sich durch seine Erfahrungen in Westeuropa bestätigt fühlte. In einem Brief aus Dresden spricht er vom „Licht aus dem Osten, das zu der erblindeten Menschheit im Westen strömt, die Christus verloren hat".
In den „Dämonen" nennt er Dresden, das „noch dazu eine kleine Schweiz im Taschenformat hat", einen „Schatz in einer Schnupftabakdose".