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André Barz
Kennst du E.T.A. Hoffmann?

Erlaubst du, geneigter Leser, ein Wort? Hättest du nicht Lust auf einen Tee oder eine heiße Schokolade? Vielleicht magst du aber auch lieber einen Punsch, so wie ich? Dabei in aller Gemütlichkeit ein wenig plaudern, Geschichten erzählen, lesen.

156 Seiten, ab 12 Jahre
ISBN: 978-3-937601-31-1
Preis: 12,80 €

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E.T.A. Hoffmann in Dresden

E.T.A. Hoffmann in Dresden

Ute Rosner

Es ist eine bewegte Zeit, 1813, Russland, Preußen und Österreich kämpfen gegen den französischen Kaiser, um Europa von der napoleonischen Tyrannei zu befreien, und einer der Kriegsschauplätze ist Dresden. Die Stadt wird für einige Wochen belagert, die Bewohner Dresdens befürchten Bombardements, leiden unter Krankheiten, Hunger und Elend in der eingeschlossenen Stadt.

Und inmitten dieser Turbulenzen und kriegerischen Auseinandersetzungen reist E.T.A. Hoffmann in die sächsische Residenz, mit der Secondaschen Operngesellschaft, deren Musikdirektor er ist.

Einen Traum hat er sich damit erfüllt – sein Leben der Musik und Kunst zu widmen, denn ursprünglich hat er Jura studiert.

Geboren wird E.T.A. Hoffmann 1776 als Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann in Königsberg in Ostpreußen, wo er auch die Schule besucht. 1792 beginnt er an der Albertus-Universität in Königsberg das Studium der Rechte. Diesen Weg einzuschlagen, wird ihm in die Wiege gelegt, denn auch sein Vater und sein Onkel waren Advokaten gewesen bzw. hatten im Justizdienst gestanden. 1795 legt er das erste, 1798 das zweite Staatsexamen ab, aber schon in dieser Zeit hegt er großes Interesse für Kunst, Literatur und Musik, zeichnet, schreibt, musiziert, komponiert und gibt selbst Musikunterricht. Eine besondere Vorliebe und tiefe Bewunderung hegt er für Mozart, welche ihn 1805 dazu bewegt, seinen Vornamen in Anlehnung an sein großes Vorbild in Ernst Theodor Amadeus zu ändern. 1800 legt Hoffmann sein drittes Examen ab, arbeitet alsGerichtsassessor in Posen und ab 1804 als Regierungsrat in Warschau – Jahre, in denen er sich neben seinen beruflichen Verpflichtungen intensiv der Literatur und Musik widmet, als Dirigent sogar erstmals eigene Werke zur Aufführung bringen kann. Es ist die Zeit derRomantik, die auch Hoffmann erfasst und mit ihrem Hang zum Symbolhaften, Magischen und Übernatürlichen Einfluss auf sein künstlerisches Werk haben wird.1807 verliert er im Zuge der napoleonischen Kriege mit dem Einzug französischer Truppen seine Stellung, ein tiefer Einschnitt in seinem Leben, denn Hoffmann trifft eine Entscheidung – die, neue Wege zu beschreiten, sich nicht mehr um eine neue Anstellung zu bemühen, sondern Künstler zu werden.Eine Karriere als Musiker und Kapellmeister strebt er an. Nach anfänglichen schwierigen Jahren in Bamberg wird ihm schließlich die Stelle des Musikdirektors bei Joseph Secondas in Leipzig und Dresden spielender Operngesellschaft angeboten, die er annimmt.

Als Musikdirektor dirigiert Hoffmann an Dresdens Hoftheater, bringt Glucks Iphigenie auf Tauris, Carl Maria von Webers Silvana, Mozarts Zauberflöte sowie Ballettwerke zur Aufführung, komponiert aber auch selbst. In Dresden vollendet er seine Oper „Undine“, eine romantische Zauberoper, die 1816 in Berlin uraufgeführt wird. Die Musik der Romantik mit ihrer ausgesprochenen Gefühlsbetontheit, ihrer sehnsuchtsvollen Wesensart und der für sie typischen Verbindung von Musik mit literarischen Themen und Ideen hat es Hoffmann besonders angetan. Und in Webers und Beethovens Kompositionen sieht er diese Charakteristika in vollkommener Weise verkörpert, versucht, deren Werke auch in Dresden zu etablieren.

Aber die Situation in der Stadt ist angespannt und bedrohlich. Eine starke Armee hat um Dresden Stellung bezogen, Kampfhandlungen brechen aus, auch in der Stadt. Knapp werdende Lebensmittel, allerorts lauernde Gefahr – es ist eine düstere und verhängnisvolle Zeit. Hoffmann versucht, das Kriegsgetöse und den Kanonendonner zu übertönen – mit seiner Musik.

Literarisch verarbeitet er seine Eindrücke dieser Kriegstage- und wochen in „Die Vision auf dem Schlachtfelde bei Dresden“, entwirft hier ein fantastisches, visionäres, gespenstisches Bild von der Kriegskulisse in und um Dresden. Spricht vom„...dumpfe[n] Röcheln des Todeskampfes, ...Gewinsel des Schmerzes, … lange[n] Züge[n] leuchtender Gerippe..., in den knöchernen Fäusten Schwerter tragend …“, während sein Erzähler-Ich auf die blutigen Leichen und Sterbenden um die Ruine des Feldschlösschens blickt.

Der düsteren Wirklichkeit und Tristesse des Alltags zu entkommen, versucht Hoffmann über den Weg hin zur Kunst. Das reale Leben wenigstens zeitweise hinter sich lassen, sich dem Fantastischen und Wunderbaren hingeben, dafür schreibt er. Und so entsteht in Dresden sein Märchen aus der neuen Zeit – „Der goldene Topf“.

Den Schauplatz legt Hoffmann gerade hierher, in die kunstsinnige Stadt, die ihm soviel Inspiration verschafft. Manche Orte der Handlung sind heute verschwunden, wie das Linckesche Bad, andere, wie die Kreuzkirche oder die Schlossgasse, gehören nach wie vor zum Stadtbild. Und der Elbstrom fließt wie eh und je.

Das Märchen handelt von dem Studenten Anselmus, der an einem Himmelfahrtstag auf seinem Weg zum Linckeschen Bad am Schwarzen Tor mit einer alten Apfelhändlerin zusammenstößt. Diese beschimpft und verflucht ihn „Ja renne – renne nur zu … ins Kristall bald dein Fall – ins Kristall“! Anselmus sucht das Weite und macht erst wieder Halt an einem Holunderbusch nahe des Elbufers. Hier erblickt er drei goldgrüne Schlänglein, die sich im Busch versteckt haben, und verliebt sich auf der Stelle in eine von ihnen, die mit den blauen Augen.

Registrator Hildebrand, ein Freund des Konrektors Paulmann, dessen ältere Tochter Veronika schon lange von einer Ehe mit Anselmus als „Frau Hofrätin“ träumt, vermittelt Anselmus eine Anstellung als Kopierer alter Schriften bei dem Archivarius Lindhorst, einem alten,verschrobenen Alchemisten und Zauberer. Als er im Haus des Archivarius vorstellig wird, erscheint ihm beim letzten Schlag der Turmuhr der Kreuzkirche das Gesicht des alten Äpfelweibs im Türklopfer, woraufhin er unter Wahnvorstellungen in Ohnmacht fällt.

Anselmus verzehrt sich in Liebe zu der blauäugigen goldgrünen Schlange und fühlt sich der Wirklichkeit mehr und mehr entrückt, insbesondere nach einem Treffen mit dem Archivarius in einem Dresdner Kaffeehaus, als dieser eine merkwürdige Geschichte vom Jüngling Phosphorus und einer königlichen Feuerlilie erzählt, deren Nachfahre er angeblich sei. Niemand der Gäste glaubt dem Archivarius, nur Anselmus fühlt sich seltsam betroffen und berührt. Lindhorst erzählt Anselmus außerdem, dass er der Vater der Schlange Serpentina sei, in die Anselmus sich so sehr verliebt habe. Dank einer Essenz, die ihm hilft, dem Spuk des Äpfelweibs standzuhalten, kannAnselmus das Haus des Archivarius betreten. Dort begegnen ihm seltsame Dinge und Erscheinungen, etwas Irreales haftet dem Haus an. In einem Zimmer steht auf einem Tisch ein goldener Topf, der Anselmus bezaubert und in dem er Traumbilder und Gestalten sieht, auch sich und Serpentina.

Als Anselmus mit seiner Arbeit beim Archivarius beginnt, warnt ihn dieser aufs Eindringlichste, keines der Originale mit Tinte zu beflecken. Die Arbeit gelingt Anselmus nur, weil Serpentina ihm hilft. Schließlich muss Anselmus noch eine letzte Schrift, die kostbarste, für den Archivarius kopieren. Es ist die Geschichte von Lindhorst selbst, der in Wahrheit ein verzauberter Salamander ist, der Elementargeist des Feuers, von Phosphorus zu einem Dasein als einfacher Mensch aus Atlantis verbannt. Und nur wenn jede seiner drei Töchter einen Mann heiratet, der auch an eine Welt außerhalb des real Existierenden, Fassbaren glaubt, wird er erlöst werden.

Veronika indessen wendet sich an ihre vermeintliche alte Kinderfrau, die ihr verspricht, ihr Anselmus zurückzubringen. In Folge eines gespenstischen nächtlichen Hexenrituals– denn niemand anderes als das Äpfelweib ist hier am Werk – erhält Veronika einen Metallspiegel. Als Anselmus in diesen blickt, meint er in der Zauberei um Serpentina und ihren Vater nur Spuk und Trug zu erkennen und verliebt sich in Veronika. Jedoch hin und her gerissen zwischen Wirklichkeit und Fantasie wird es für Anselmus immer schwerer, seine Arbeit beim Archivarius fehlerfrei zu erledigen. Schließlich passiert das Unglück und er verschüttet Tinte auf das kostbare Original. Zur Strafe wir er von Lindhorst in eine Kristallflasche verbannt. Als die Hexe, das alte Äpfelweib, im Haus des Archivarius erscheint, um den goldenen Topf zu stehlen, bekämpft und besiegt dieser sie, sodass sie sich in ihre wahre Gestalt, eine alteRunkelrübe, verwandelt. Lindhorst befreit und verzeiht Anselmus, da dieser von fremden, feindlichen Mächten beeinflusst war. Das Märchen endet mit einer Vision von Anselmus zukünftigem Leben mit Serpentina auf einem Rittergut in Atlantis. Zugleich tröstet Lindhorst den Erzähler,der sich im Angesicht von Anselmus glanzvollem Leben über sein eigenes armseliges Dasein beklagt, dass es letztlich doch um ein Leben in der Poesie gehe und jedem der Weg dahin offen stehe – zur Poesie, „ … der sich der heilige Einklang aller Wesen als tiefstes Geheimnis der Natur offenbaret?“

So wird alles im Märchen „Der goldene Topf“, was zuvor real, zu Magie. Alltag und Märchen vermischen sich ebenso wie Wirklichkeit und Fantasie. Die reale Szenerie am Kriegsschauplatz Dresden verkehrt sich zu Orten des Fantastischen – der rauschende Holunderbusch am Elbstrom mit den goldgrünen Schlänglein, das Haus des Archivarius Lindhorst, die gespenstische, stürmische Szene mit Veronika und dem Äpfelweib. Dieses erscheint in Person am Schwarzen Tor und im Türklopfer am Haus des Archivarius, verwandelt sich von der Kinderfrau zur Hexe und wird schließlich zur Runkelrübe.

Das profane, alltägliche Leben geht über ins „geheimnisvolle wunderbare Reich“ des Mythos. Und so spiegelt das Geschehen in seinem Märchen die eigenen Erfahrungen und Wünsche des Dichters E.T.A. Hoffmann wider – vom Philister- zum Künstlertum, vom profanen, tristen Alltag ins Reich des Feenhaften und Wunderbaren.

1814 verlässt E.T.A. Hoffmann Dresden, den Ort einer wichtigen künstlerischen Schaffensperiode seines Lebens. Er geht nach Berlin und wird im Kammergericht angestellt, 1816 zum Kammergerichtsrat befördert. Der Kunst, insbesondere der Musik und der Dichtkunst, bleibt er jedoch immer verbunden.

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Bildquelle:

Teaserbild: E.T.A. Hoffmann (1776-1822); gemeinfrei, wikipedia
Selbstporträt E.T.A. Hoffmann (about 1810-1820); gemeinfrei, wikipedia

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