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Karl Friedrich Schinkel

Karl Friedrich Schinkel

Christoph Werner

Vom Schöpfer der "Schinkelwache"

Denkmal Schinkel in Berlin - Foto: Christopf Werner
Denkmal Schinkel in Berlin - Foto: Christopf Werner

Es ist fast unmöglich, meine Leserinnen und Leser, die Leistung des Architekten, Städteplaners, Malers, Bühnenbildners, Möbeldesigners, Innendekorateurs, Gestalters von Vasen und Lampen, Architekturtheoretikers, Zeichenlehrers, Dioramengestalters, Reisetagebuchautoren und Bauinspekteurs Karl Friedrich Schinkel (1781-1841) überschaubar zu machen, noch dazu in einem kurzen Beitrag wie diesem. Daher gehe ich nur auf einen Aspekt dieses reichen Künstlerlebens ein und skizziere andeutungsweise seine Beziehung zu Dresden.
Am 1. Mai 1803 bricht Schinkel mit seinem Studienfreund J. G. Steinmeyer (der in den Jahren 1837-1851 das Jagdschloss Granitz auf der Insel Rügen im Auftrag des Fürsten Malte I. zu Putbus baute, nicht ohne Beteiligung Schinkels) zu einer Studienreise nach Italien auf, die sie unter anderem über Dresden führt.
Im Sommer des Jahres 1811, nachdem er im März Ordentliches Mitglied der preußischen Akademie der bildenden Künste geworden war, reist Schinkel mit seiner Ehefrau ins Salzkammergut über Dresden, Muskau und Prag.
1829 unternimmt er erneut eine Reise nach Dresden.
Vom 25. Juli bis Ende September 1830 reist Schinkel mit Familie nach Oberitalien und fährt bei seiner Rückkehr über Dresden. Am 16. Dezember desselben Jahres übrigens erfolgt seine Beförderung zum Geheimen Oberbaudirektor.
Im Jahre 1833, vom 5. Juli bis 7. September, unternimmt Schinkel eine Inspektionsreise durch Sachsen, Westfalen und das Rheinland, auf der er möglicherweise auch in Dresden Station gemacht hat.

Es ist anzunehmen, dass Schinkel Dresden gut kannte. Es ist auch bekannt, dass Schinkel den Baustil des Barock und Rokokko nicht mochte. Umso interessanter ist es zu beobachten, wie er den Auftrag des sächsischen Königs zu einem Wachgebäude unweit des Dresdener Schlosses, inmitten eines Umfeldes von Barock- und Renaissancebauten, verwirklichte.
Die Altstädtische Hauptwache in Dresden entstand zwischen 1830 und 1832. Schinkel stand vor einer nicht einfachen Aufgabe, da er bereits gelegte Fundamente verwenden musste.
Das oft auch „Schinkelwache" genannte Gebäude besteht aus einem tempelartigen Mittelbau mit einer ionischen Säulenhalle, dem zwei niedrigere Seitenflügel angefügt sind. Den Eindruck der Geschlossenheit des Baues erreicht Schinkel dadurch, dass die Säulen und Pilaster der Vorhalle nahezu in einer Front mit den Seitenflügeln liegen und die Zweigeschossigkeit des Baues sich nur an der Unterteilung der durchgehenden Türen und Fenster ablesen lässt. Im Giebelfeld der Fassade ist entgegen Schinkels Vorschlag einer fahrenden Viktoria eine sitzende Saxonia angebracht worden.

In meinem biographischen Roman „Schloss am Strom. Die Geschichte vom Leben und Sterben des Baumeisters Karl Friedrich Schinkel", der im Bertuch-Verlag Weimar erschienen ist, versuche ich,  den Lesern das Leben dieses außerordentlichen Mannes näher zu bringen.

Es folgt das gekürzte sechste Kapitel  dieses Buches.

   Die Kutsche rüttelte und schwankte, fast schien es ihm, als sollte er auf den Boden fallen, als seine Frau und Töchter ihn aus dem Bett hoben, um dieses neu zu beziehen und ihn zu waschen. Da ertönte doch wieder Musik, nein, nicht „Fingals Höhle" diesmal, sondern die Passion, Bach, Zelter, Mendelssohn, die Erinnerungen kamen plötzlich und klar in seinen Kopf, wie er mit Beuth an dem denkwürdigen 11ten März '29 zu Fuß zur Sing-Akademie ging, um Bachs und Henricis Passion nach dem Evangelisten Matthäus zu hören. Leider war sein ursprünglicher Entwurf für das Gebäude nicht angenommen worden, sondern errichtet wurde es auf dem Gelände des zugeschütteten alten Festungsgrabens hinter dem Kastanien-wäldchen und der Neuen Wache nach einer von Carl Theodor Ottmer überarbeiteten Fassung. '25 wurde der Grundstein gelegt, Zelter selbst nahm - Fachmann des Bauens und der Musik, der er war - die Zeremonie vor.

   Zelter hatte in seinem Vorwort zum Programmheft geschrieben: So ward auch diese Musik, in zwei 2 Theilen, zwischen welchen die Nachmittagspredigt statt fand, zur Charfreitagsvesper im Jahre 1729 in der Thomaskirche zu Leipzig aufgeführt, und begeht mit der heutigen Wiederholung ihre Sekularfeier.

   Zu Anfang war der alte Maurermeister gar nicht begeistert und hatte sich dementsprechend geäußert, als ihm Mendelssohn mit dem Plane kam, die Passion wieder aufzuführen. Seine Erfahrungen hatten ihn Bedachtsamkeit und Verzicht gelehrt, denn hatten nicht schon zu Lebzeiten Bachs gewisse strenggläubige Leute bestimmte seiner Musiken, darunter auch die oratorischen Passionen, wegen angeblicher Profanierung des biblischen Textes oder allgemeiner Unverständlichkeit abgelehnt, wovon folgende einhundert Jahre alte Anekdote zeugt: „Als in einer vornehmen Stadt diese Passions-Music mit 12 Violinen, vielen Hautbois, Fagots und anderen Instrumenten mehr, zum ersten mal gemacht ward, erstaunten viele Leute darüber und wussten nicht, was sie daraus machen sollten. Auf einer Adelichen Kirch-Stube waren viel hohe Ministri und Adeliche Damen beysammen, die das erste Passionslied aus ihren Büchern mit großer Devotion sungen. Als nun diese theatralische Music angieng, so geriethen alle diese Personen in die grösste Verwunderung, sahen einander an und sagten: ‚Was soll nun daraus werden?' Eine Adeliche Wittwe sagte: ‚Behüte Gott, ihr Kinder! Ist es doch, als ob man in einer Opera-Comödie wäre.' Alle aber hatten ein hertzliches Missfallen daran und führten gerechte Klage darüber."

   Ja, klagen tun sie gerne, dachte Schinkel, was hatten sie nicht alles am Schauspielhaus auszusetzen gehabt, und Friedrich Weinbrenner, der Tropf, dessen Düsseldorfer Theaterentwurf er '20 abgelehnt hatte, nannte das Theater ein erbärmliches architektonisches Product, und schrieb weiter: Obgleich H. Schenkel - nicht einmal seinen Namen konnte er behalten - unter die ersten schön Zeichner gezählt werden kann, so sollte er aber kein Bauprojekt entwerfen, indem er durch dasselbe zu erkennen gibt, dass er von dem wahren Studium der Baukunst wenig oder gar nichts versteht.

   Die Nörgelei drang bis nach Weimar, so dass sich Exzellenz Goethe veranlasst sah, von seinem Freund Zelter einen Bericht zu erbitten. Da vorn saß er, der Freund, der dem Geheimrat nach Weimar berichtete, dass die Cassen bey Handen seien und nichts vorbeischleychen kann. Ihm sei aber der Styl des Ganzen angenehm, es würden allerdings vor allem folgende gravamina vorgebracht: Das Haus sei zu klein, die Logen hinter dem Balcon seyen zu eng, zu finster, zu niedrig, ja ängstlich; die Schauspieler führten Klage über ihre Kammern und Anziehzimmer und so fort. Und die stets spottbereiten Berliner hatten sogleich eine Antwort parat, warum Schinkel bei der Einweihungsfeier nicht persönlich anwesend gewesen sei: Der Architekt habe in dem von ihm gebauten Theater keinen Platz mehr gefunden.

   Dergleichen Kummer war Schinkel gewohnt. Seine Absicht war, im möglichst kleinen Raum möglichst viele Menschen gut hören und sehen zu lassen, das waren die Anordnungen des Königs. Wie die Erfahrung lehrt, kann man von allen Plätzen gut hören und sehen. Was sonst der Neid und die bekannte Tadelsucht der Menschen Unhaltbares vorgebracht, wollte er nicht so ernstlich nehmen, weil es sich täglich in anderer Gestalt zeigt, je nachdem die Laune herrscht; darüber war er vollkommen getröstet und ließ sich nicht irre machen. Seine Werke waren nun einmal öffentlich, wie die Musikwerke Bachs, und jeder konnte seinen Senf dazu geben.

   Auch Zelter hatte sich nicht irre machen lassen. Zugegeben, dass in diesem aufgeklärteren Jahrhundert die Wiederaufführung der Passion gewissermaßen in der Luft lag. Dennoch, die jugendlichen Freunde Eduard Devrient und Felix Mendelssohn Bartholdy, deren Enthusiasmus noch nicht durch Fehlschläge gedämpft war, vereinten das, was schließlich zum Erfolg führte: Devrient das mit Diplomatie gepaarte Durchsetzungsvermögen, Mendelssohn die geniale musikalische Begabung ... 

   Die Freunde betraten den großen Saal und sahen sich um, bevor sie auf ihre Plätze gingen. Fast alle Stühle waren besetzt; was in Berlin Rang und Namen hatte, war gekommen: Der König mit seinem Gefolge, dann die hervorragenden Geister Droysen, Hegel, Heine, Schleiermacher, Rahel Varnhagen und viele andere ihm bekannte Namen. Schinkel erkannte Rauch und Tieck und nickte den beiden unzertrennlichen Freunden zu. Er machte eine Bemerkung zu Beuth über das Illustre des Publikums heute Abend und merkte gar nicht, wie sehr er dazu gehörte...

   Die Musik, das waren bei den Griechen alle schönen Künste und alle künstlerische und wissenschaftliche Bildung, die damals viel mehr in einer Hand lagen als heute. Die Musik war Geschenk der Musen und gleichzeitig eine Erfindung des Pythagoras, was einerseits ihre Einengung auf die Tonkunst meint und ihr andererseits ein rationales, mathematisches Fundament gibt. Daraus folgt dann wohl die epochenweise mehr oder weniger starke Trennung zwischen Musizierpraxis und Musiktheorie.

   Die Musik, dachte Schinkel, ist wie die Architektur dem Urteil der Menge unterworfen, vor deren Augen und Ohren sie beide sich verwirklichen. Beide Künste benötigen für ihre Komposition und Exekution bestimmte, unveränderliche, dem Menschen innewohnen- de und von der Physik abhängige Voraussetzungen, in deren Grenzen sie allerdings große ideelle und materielle Vielfalt haben. Heute vollzieht sich die Musik zumeist im geschlossenen Raum, wie heute Abend, und der Architekt hat dafür zu sorgen, dass sie die ihr angemessenen akustischen, d. h. von der Gestaltung des Raumes abhängigen Bedingungen findet... 

   Mit Vorliebe entnimmt er, insbesondere auf fortgeschrittener Kulturstufe, die Vorbilder dem Pflanzenreich, doch auch die anderen Naturreiche werden herangezogen. Die Werkform des einfachen, roh behauenen, länglich-parallelepipedischen Steinblocks würde praktisch genügen, die Last des griechischen Tempelgebälks zu stützen. Künstlerisch genügte sie dem Hellenen nicht; er suchte nach Vorbildern in der Natur, die ihm die Funktionen versinnbildlichen, die seine Stütze im baulichen Organismus erfüllen soll, und so schuf er die Säule mit ihren Teilen. Es fußen alle gesunden, mustergültigen Bauweisen, trotz scheinbaren Widerspruchs auch die mittelalterlichen, auf solchen tektonischen Grundsätzen.

   Setzt man nun, dachte Schinkel, in diesen Überlegungen statt Bau und Stein und Säule und Tempelgebälk musikalisch-theoretische termini, dann kommt man zu erstaunlichen Parallelen, die sich vor allem in den Gedanken von Harmonie und Disharmonie, Sonanz und Dissonanz und deren Auflösungen offenbaren, zu schweigen von Einzelteilen, aus denen sich ein musikalisches Kunstwerk aufbaut wie ein Werk der Architektur. Bezeichnete Meister Goethe nicht gar die Architektur als steingewordene Musik?

  Auch die oratorische Passion, die ihnen heute zu Gehör gebracht werden wird, hat ihre eigene Architektur mit Grundbausteinen wie den Texten der Bibel, der Poesie Henricis, den Chorälen und Rezitativen, die durch Meister Bach zueinander in Relation gesetzt werden und dadurch ein Gesamtkunstwerk entstehen lassen. Wie der Architekt greift der Komponist auf Vorhandenes, von anderen Vorgearbeitetes zurück und fügt Eigenes hinzu. Und wie ein Bauwerk werden Bachs Harmonien bleiben und fortwirken.

 

   Während Schinkel so dachte und sann, hatten sich die Chöre aufgestellt, ungefähr 150 Sänger, und die Musiker versammelt. Für den Generalbaß stand keine Orgel zur Verfügung, Mendelssohn selbst wird den Part auf einem Hammerflügel spielen. Der Choral „O Haupt voll Blut und Wunden" mit seiner wundersamen Strophe

Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir,

Wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du denn herfür!

Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein,

So reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein!

sollte vom Chor ohne Instrumentalbegleitung gesungen werden. Dieses Lied, dachte Schinkel, ist so sehr liebe- und verständnisvoller Ausdruck der Trostbedürftigkeit des vor dem Tode sich fürchtenden Menschen, ist so sehr menschlich, dass man sich über anderes bei Bach wundern kann...

   Der Schlußstein des gewaltigen und dramatischen Gebäudes der Passion war der von beiden Chören gesungene Schlußsatz „Wir setzen uns in Tränen nieder". Schinkel erwachte aus seinem Nachdenken, als die beiden Chöre begannen. Es ist wie der Schlußstein einer Kathedrale, dachte er, der dem Ganzen Abschluß, Halt und Krönung bedeutet und es im eigentlichen Sinne vollendet. Wie in der Baukunst wird hier von Wiederholungen Gebrauch gemacht und eine motivische Beziehung zu einem anderen Bauwerk, nein Musikwerk, der Johannes-Passion, hergestellt. Und Bach scheut sich nicht, das Werk mit einem in den Flöten frei einsetzenden Vorhalt des Leittons vor dem Grundton zu schließen, dessen  beunruhigende Wirkung in diesem Zusammenhang nicht die einer galanten Verzierung, sondern Ausdruck äußerster Traurigkeit ist.

   Der Eindruck der Aufführung auf die Zuhörer war groß, und auch Schinkel und Beuth waren erschüttert, als sie die Sing-Akademie verließen. Der Zustrom bei den folgenden Aufführungen, die unter Zelters Leitung stattfanden, da Mendelssohn inzwischen eine Reise nach England angetreten hatte, wollte nicht enden, und in der Folgezeit wurde es zur Tradition der Sing-Akademie, Bachs Passion regelmäßig am Palmsonntag aufzuführen.

 

Schinkels Grab in Berlin, www.wikipedia.de, SpreeTom
Schinkels Grab in Berlin, www.wikipedia.de, SpreeTom

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Literatur:

Betthausen, Peter. 1983. Karl Friedrich Schinkel. Berlin: Henschelverlag, Kunst und Gesellschaft

Werner, Christoph. 2004. Schloss am Strom. Die Geschichte vom Leben und Sterben des Baumeisters Karl Friedrich Schinkel. Roman. Weimar: Bertuch-Verlag.

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